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Musikstreaming, Podcasts und YouTube – Wie das Radio im 21. Jahrhundert überleben kann

05.03.2018, 17:44 Uhr in Service, Anzeige
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Musik ist die Kunst, welche am unmittelbarsten unsere Seele berührt. Von Mozartsonate bis Death-Metal-Gebolze hat jeder seine ganz eigene Vorstellung davon, wie Musik zu klingen hat. Popmusik scheint dabei aber alle Lager zu spalten. Den einen nervt sie schlichtweg, der andere hört gar nichts anderes, als das, was im Radio läuft. Wie sehr aber der Pop Ausdruck des aktuellen Zeitgeistes ist, machen sich nur die Wenigsten wirklich bewusst. Denn hinter den ohrwurmhaften, zuckrig-süßen Melodien der Mainstreammusik steckt nicht nur sehr viel Pathos, sondern vor allem eine Menge Kalkül, Technik und – in letzter Instanz – auch Wirtschaft und Politik.

Die Popmusik blickt mittlerweile auf eine lange Tradition zurück. Entstanden ist sie in den 1950er Jahren, wobei sie aus dem Rock ’n‘ Roll, der Beatmusik und Jazz hervorging. Bands wie die Beatles prägten den frühen Pop, ABBA trugen ihn in den 70ern weiter. Mit einem Radio in nahezu jedem Haushalt verbreiteten sich die Songs rasant und bescherten den Künstlern über Platten- und Kassettenverkäufe traumhafte Gewinne. Das Radio als Medium und unverzichtbarer Mittelsmann zwischen Künstler und Rezipienten gewann dabei nicht nur an Relevanz, sondern auch an Mitspracherecht. Über die Jahre entwickelte sich eine gängige Struktur innerhalb der Popsongs, die von Radiomachern eingefordert und von Musikschaffenden, wollten sie denn erfolgreich sein, geliefert wurde.

Radio Edit – Von der Anregung zum Diktat

Der Radio Edit kam bereits in den 60er Jahren auf, gewann aber erst im darauffolgenden Jahrzehnt wirklich an ernstzunehmender Relevanz. Dabei wurden Spieldauer und genereller Aufbau eines Liedes nach und nach standardisiert. Radiosongs wurden so im Mittel zwischen 2,5 und 4 Minuten kürzer gehalten als das Originalstück, das auf dem Album des jeweiligen Künstlers erschien. Aufbau und Form folgten idealerweise einem Schema aus Intro, Strophe, Refrain, Strophe, Refrain und Outro. Variationen innerhalb eines hinnehmbaren Rahmens waren und sind auch heute selbstverständlich erlaubt. Zudem wird die Lautstärke der Stücke erhöht. Die Radiostationen hatten auf diesem Wege natürlich starken Einfluss auf die Art und Weise, wie Musiker ihre Songs, mehr oder minder freiwillig, arrangierten. Oder zu gestalten hatten, wollten Sie auf dem Massenmarkt präsent sein. Über den Einfluss auf Bands und Künstler, formte sich die Branche aber auch ihre Hörerschaft immer mehr nach ihrem Belieben. Denn wenn das, was angeboten wird, der immerselben Form folgt, wird der Musikkonsument über die Zeit zwangsläufig auf dieses Maß geeicht. So weit, dass dieses Strukturschema, als universeller Standard verinnerlicht, alternativlos erscheint und folgende Musikergenerationen von sich aus ganz natürlich im Radio Edit denken.

Internet, Napster und der Wandel der Musikbranche

Mit der Verbreitung des Internets wurde die Musikindustrie aber in eine tiefe Krise gestürzt, aus der heraus sie erst jetzt, nach knapp 20 Jahren, wieder gefestigt agiert. Denn mit dem Zugang zum Netz und der Erfindung des MP3-Formates, mit welchem sich Datensätze hinreichend komprimieren ließen, um sie problemlos hoch- und runterladen zu können, erstarkte die Musikpiraterie in gänzlich neuem Maße. Hatte die Branche bereits durch die Verbreitung der bespielbaren Musikkassette und des Walkmans bereicht gefürchtet, an Marktmacht und Einnahmen einzubüßen, waren es dann Napster, Emule und ähnliche Filesharingplattformen, die wirklich schmerzhafte Einschnitte verursachten. Der Filmindustrie erging es ähnlich. Die Ächtung und strafrechtliche Verfolgung der Piraterie konnten aber in keiner Weise adäquat die finanziellen Verluste kompensieren. Also musste man sich zwangsläufig an die neuen Gegebenheiten des Marktes anpassen und neue Vertriebsmöglichkeiten finden. Die ausbleibenden Gewinne aus CD.- und Plattenverkäufen wurden entsprechend auf Konzertticketpreise und Merchandise-Artikel aufgeschlagen. Und während die Monetarisierung Napsters weitesgehend fehlschlug, aus dem simplen Grund, dass die bisherigen Nutzer des Programms nicht einsahen, für die altbekannten Dienste auf einmal Geld zahlen zu müssen, war es in erster Instanz Apple, die ein funktionierendes Modell aufziehen konnten. In Verbindung mit iPod, iPad und iPhone und iTunes als entsprechender Schnittstelle zwischen Geräten, Softwareverwaltung und Musikshop, wuchs die Akzeptanz für bezahlbare Onlineinhalte merklich an. Man hatte hier also eine Plattform geschaffen, auf der Konsumenten einerseits Musik beziehen und Musikschaffende und Labels andererseits vergütet werden konnten.

Der Kampf um Marktanteile

Nachdem sich dieses Modell als gleichermaßen akzeptiert und lukrativ bewiesen hatte, konnte man tiefer in den Markt gehen. Abo-Plattformen schossen plötzlich aus dem Boden. Neben den Platzhirschen wie Spotify, Deezer oder Apple Music, die sich über die letzten Jahre erfolgreich halten konnten, erschienen etliche andere Anbieter am Markt, welche aber auch schnell zu spüren bekamen, dass die Marktanteile hart umkämpft sind. Schließlich will der Nutzer nach Möglichkeit nur ein Abo abschließen und auch nicht permanent zwischen den Anbietern wechseln. Spotify hat sich hier, zumindest in Hinsicht auf den US-amerikanischen und europäischen Markt die Pole-Position gesichert. Derart fest im Sattel kann man diese Marktmacht entsprechend in Mitspracherecht ummünzen.

Der Radio Edit im Zeitalter des Algorithmus

Der altbekannte Radio Edit erfährt in Zeiten, in denen Algorithmen steuern, was dem User gezeigt wird, was er auf Basis seiner Nutzerdaten zu hören bekommt, eine ganz neue Ausformung. Das Musikmagazin Pitchfork veröffentlichte im vergangenen Jahr einen interessanten Artikel („Uncovering how streaming is changing the sound of pop“), in dem die Struktur aktueller Popsongs in Hinsicht auf die Abspiel- und Vergütungsmechanismen des schwedischen Musikstreamers erläutert wird. Denn die Auszahlung seitens Spotify an die Musiker beziehungsweise an die Musikverlage, die die Rechte am Musikstück halten, beginnt erst, wenn der Song vom User für die Mindestdauer von 30 Sekunden abgespielt wurde. Gefällt dem Nutzer der Song nicht, skippt er entsprechend weiter, sodass Spotify keine Tantiemen an den Rechteinhabers des Songs ausschütten muss. Um dem entgegenzuwirken, fühlen sich Musikschaffende ihrerseits nun in der Situation, diese ersten 30 Sekunden ihres Stückes entsprechend gefällig und möglichst schon mit allen für den Song charakteristischen Merkmalen zu versehen. Anstelle eines stimmungsaufbauenden Intros tritt so vielleicht direkt der Refrain. Zwar würde Spotify selbst niemals bestätigen, dieses Vorgehen einzufordern, der Druck auf den Künstler ist aber nicht zu leugnen.